Das Jahr 2020 ist für den Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Félix Tshisekedi, großartig verlaufen. Innerhalb eines Jahres konnte er seine beiden größten politischen Rivalen loswerden: den vorherigen Staatspräsidenten Joseph Kabila sowie Vital Kamerhe, seinen eigenen Stabschef. Kamerhe ist Vorsitzender einer Partei, die zusammen mit Tshisekedis Partei dessen politische Plattform „Kurs auf den Wandel“ (CACH) bildet.
Tshisekedi war Anfang 2020 nicht nur in einer Koalition mit beiden Rivalen und ihren jeweiligen politischen Parteien. Er hatte mit Kabila und Kamerhe auch vereinbart, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2023 nicht wieder antreten würde. Jetzt sitzt Kamerhe im Gefängnis, verurteilt zu zwanzig Jahren Haft wegen seiner Rolle in einem Korruptionsskandal. Und Kabila hängt in den Seilen und muss darum kämpfen, sein Parteienbündnis „Gemeinsame Front für den Kongo“ (FCC) zusammenzuhalten und politisch relevant zu bleiben.
Die Allianz zwischen Kabila und Tshisekedi wurde nach der Wahl 2018 heimlich geschmiedet, als sich abzeichnete, dass Kabilas Kandidat für seine Nachfolge sehr schwach abgeschnitten hatte und nicht einmal in die Stichwahl für die Präsidentschaft kommen würde. Laut Ergebnissen, die aus der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission inoffiziell an die Öffentlichkeit gelangten, lag der Oppositionsführer Martin Fayulu mit 59 Prozent deutlich vorn. Zu seiner Koalition gehörten auch andere politische Schwergewichte wie Jean-Pierre Bemba, der 2006 die Präsidentschaftswahl gegen Kabila erst in Runde zwei verloren hatte, und Moise Katumbi, der durch rechtliche Tricks von einer eigenen Kandidatur abgehalten worden war. Daten einer Parallellauszählung durch die katholische Bischofskonferenz stützten die aus der Wahlkommission durchgesickerten Ergebnisse; Fayulu hatte danach sogar mit 62,8 Prozent der Stimmen gewonnen.
Daraufhin wurde offenbar das Ergebnis manipuliert. Die Wahlkommission erklärte Tshisekedi zum Gewinner der Präsidentschaftswahl, während Kabilas Parteienbündnis FCC mit 338 von 500 Sitzen eine klare Mehrheit im Parlament erhielt. Kabilas Vorherrschaft im Parlament gab seiner Partei eine einflussreiche Rolle in der Regierung. Sie durfte etwa den Premierminister ernennen, während Tshisekedi und seine Koalitionspartner mit weniger als 50 Sitzen deutlich weniger Einfluss besaßen.
Ein Deal zwischen Tshisekedi und Kabila
Somit war Tshisekedis Macht von Anfang an deutlich eingeschränkt. Zugleich bedeutete der Deal zwischen ihm und Kabila, dass die beiden immer im Konflikt stehen würden – insbesondere mit Blick auf den bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf 2023. Die Vereinbarung wurde zwar nie öffentlich gemacht. Aber zu dem Kuhhandel gehörte offenbar, dass Tshisekedi zugestand, 2023 nicht gegen einen FCC-Kandidaten anzutreten. Das bedeutete nicht nur, dass Tshisekedi seine Ambitionen beschränken musste, sondern auch, dass Kabila nie ein Interesse an einem Erfolg der von Tshisekedi geführten Regierung hatte.
Autorin
Stephanie Wolters
ist Wissenschaftlerin am South African Institute of International Affairs in Südafrika und eine der Direktorinnen von Okapi Consulting in Johannesburg. Eine frühere Version dieses Artikels ist bei „African Arguments“ erschienen.Das FCC-Lager reagierte schockiert und beschuldigte den Präsidenten, seine verfassungsmäßigen Kompetenzen zu überschreiten. Vergeblich versuchte es, die internationale Gemeinschaft zu bewegen, Tshisekedi in die Schranken zu weisen. Kabila und die FCC hatten anscheinend naiv angenommen, dass Tshisekedi sich an die ursprüngliche Abmachung halten würde, und unterschätzten die politischen Ambitionen des Präsidenten und seiner Anhänger.
Schwerer Schlag gegen Kabilas Macht
Im Oktober versetzte Tshisekedi dem FFC-Lager einen schweren Schlag, indem er drei neue Richter ans Verfassungsgericht berief. Dieses Gericht war bis dahin jahrzehntelang ein Pfeiler von Kabilas Macht gewesen. Es unterstützte mit seinen Urteilen alle politischen Arrangements, die Kabila einführen wollte; unter anderem erlaubte es die Verschiebung der Wahlen um zwei Jahre von 2016 auf 2018 und wies Klagen gegen die offiziellen Wahlergebnisse von 2018 zurück.
Das Versprechen, dass sie 2023 erneut den Präsidenten stellen würde, war immer entscheidend für den Zusammenhalt der FCC als politisches Bündnis gewesen. Als Kabila die Kontrolle über das Verfassungsgericht verlor, verlor er auch die Fähigkeit, Wahlen zu manipulieren und seinen Anhängern zu garantieren, dass die FCC 2023 wieder an die Macht kommen wird. Nun, da Kabila dieses Versprechen nicht mehr halten kann, haben einzelne Mitglieder begonnen, sich von dem Bündnis abzusetzen.
Vor diesem Hintergrund hielt Tshisekedi im November 2020 nationale Beratungen ab, für die er sich mit wichtigen Oppositionsfiguren wie Moise Katumbi und Jean Pierre Bemba traf – aber auch mit Vertretern der katholischen Kirche und der Zivilgesellschaft, Wirtschaftsführern und Provinzgouverneuren. Die FCC boykottierte diese Konsultationen mit der Begründung, man führe Gespräche mit dem Präsidenten nur im Rahmen der Koalitionsvereinbarung.
Als Nächstes folgte am 6. Dezember 2020 Tshisekedis Bericht an die Nation, in dem er den Inhalt der Gespräche und eine Liste mit Prioritäten für das Land darlegte. In der Rede ließ er die Bombe platzen und sagte, dass er die Regierungskoalition zwischen CACH und FCC aufkündige. Dieser drastische Schritt sei notwendig, weil die Koalition am Ende sei. Als Beispiel führte er an, dass die FCC die Amtseinführung der drei neuen Verfassungsrichter boykottiert hatte.
Die politische Landschaft im Kongo neu ordnen
Im Kern strebt Tshisekedi mit seinen jüngsten Schritten an, die politische Landschaft im Kongo neu zu ordnen: Er will im Parlament die Macht von der derzeitigen 338-Stimmen-Mehrheit der FCC weg- und hin zu einer neuen Koalition von Parteien verschieben. Damit würde er sich selbst und das Land von der Vorherrschaft der FCC befreien.
Da er die Brüche in Kabilas FCC im Parlament erkannte, kündigte er an, jemanden zu ernennen, der eine neue Mehrheit zusammenbringen sollte. Das warf die Frage auf, ob die Verfassung ihn ermächtigt, mitten in einer Legislaturperiode eine neue parlamentarische Mehrheit zu suchen. Artikel 78 der kongolesischen Verfassung erlaubt dem Präsidenten, jemanden mit der Mehrheitsbildung im Parlament zu beauftragen; doch Verfassungsexperten argumentieren, diese Klausel sei für den Fall gedacht, dass soeben eine Wahl abgehalten worden ist und keine klare Mehrheit gebracht hat.
Dieses Verfassungsproblem scheint Tshisekedi vorher bedacht zu haben. Im November 2020 unterzeichneten 200 Parlamentsabgeordnete eine Petition, die forderte, die zur FCC gehörende Vorsitzende der Nationalversammlung solle wegen schlechter Führung der Parlamentsfinanzen zurücktreten. Diese Anschuldigungen waren eher fadenscheinig, aber sie lieferten sie Tshisekedi und seinen Anhängern den nötigen Rammbock, um die Mehrheit der FCC aufzubrechen. Am 10. Dezember unterstützten 283 von 483 anwesenden Parlamentsabgeordneten die Petition und setzten so die Parlamentspräsidentin Jeannine Mabunda samt ihren Mitarbeitenden ab. Da die FFC 338 Sitze im Parlament hielt und die anderen Parteien nur 162, ist klar, dass einige FCC-Abgeordnete gegen ihre eigene Partei gestimmt hatten. Tshisekedi Anhänger sahen das als Bestätigung für seine Behauptung, die FCC-Mehrheit bröckele, und rechtfertigten so die Forderung, eine neue Mehrheit zu suchen.
Am 20. Januar 2021 wurde mit Bahati Lukwebo ein früheres Mitglied von Kabilas FCC, der die Koalition 2019 verlassen hatte, formell beauftragt, Gespräche mit den politischen Parteien zu führen. Er sollte eine neue Koalition bilden, die Union sacrée (heilige Union) genannt wurde. Lukwebo legte seinen Bericht am 27. Januar vor. Am 29. Januar trat Premierminister Sylvestre Ilunga Ilunkamba, der Kabilas Partei angehört, nach einem Misstrauensantrag wegen Misswirtschaft zurück. Das ebnete den Weg für die Auflösung der ganzen Regierung.
Das Kräfteverhältnis verschiebt sich
Bis Februar 2021 hatte sich das Kräfteverhältnis im Parlament zugunsten von Tshisekedis Union sacrée verschoben. Dem Bündnis gehörten nun auch Katumbi und Bemba sowie andere große Oppositionsgruppen an wie die Partei der Lumumbisten, die davor mit der FCC koaliert hatten. Die Mehrheit der Union sacrée besteht aber aus früheren FCC-Abgeordneten, die als Einzelne zu Tshisekedi übergelaufen sind.
Im selben Monat wurde Jean-Michel Sama Lukonde zum neuen Premierminister ernannt. Er war davor auf Ernennung von Tshisekedi Chef des wichtigen staatlichen Kupfer- und Kobalt-Minengiganten Gecamines gewesen und ist jünger als die meisten führenden kongolesischen Politiker. Er hat seine politische Karriere in einer mit Kabila verbündeten Partei begonnen, sich aber 2016 gemeinsam mit Katumbi abgespalten, weil er gegen eine dritte Amtszeit Kabilas war. Kurz vor der Wahl 2018 hat er sich Tshisekedis Partei angeschlossen. Lukondes Ernennung wird im Kongo weithin als kluge Wahl gelobt. Die Bildung einer neuen Regierung wird in den kommenden Monaten erwartet.
Was aber heißt das für die Zukunft der Demokratischen Republik Kongo? Kommt jetzt nur eine neue politische Elite an die Macht oder wird langfristiger Wandel eingeleitet? Das hängt davon ab, ob die neue Mehrheit weniger eigennützig handelt als die vorherige. Tshisekedi muss jetzt zeigen, dass sein Ziel wirklich ist, das Land in Richtung auf bessere Regierungsführung zu bewegen – mit unabhängigen Institutionen, die für das Volk und das Land arbeiten.
Der Weg dahin ist steinig. Tshisekedi muss eine Machtteilung mit neuen politischen Partnern aushandeln, von denen die meisten eigene Ambitionen haben – manche sogar auf das Präsidentenamt. Gleichzeitig muss er seine Anhänger im Zaum halten, die dazu neigen, die Veränderung als Chance auf mehr Macht aufzufassen. In jedem Fall steht eine Periode des heftigen politischen Kuhhandels bevor. Wie Tshisekedi das bewältigt und welchen Ton er vorgibt, entscheidet darüber, ob dies der Beginn einer grundlegenden Veränderung weg von politischen Rivalitäten, schlechter Regierungsführung, Korruption und Vetternwirtschaft ist.
Zur neuen politischen Führung der DRC werden wahrscheinlich Bemba und Katumbi gehören und auch der wirkliche Sieger der Präsidentschaftswahlen von 2018, Martin Fayulu. Sie haben die Chance, die Zukunft des Landes fundamental zu verändern: Sie können den Schwerpunkt der Politik weg vom Machtgeschacher in der Elite bewegen und hin zu einer glaubwürdigen und rechenschaftspflichtigen Regierungsführung samt freien und fairen Wahlen im Jahr 2023. Die kongolesische Bevölkerung hat ausreichend demonstriert, dass sie ein Ende der Ära Kabila will. Sie braucht dringend eine politische Führung, die sich auf wirtschaftliche Entwicklung, grundlegende öffentliche Dienste und die Wiederherstellung der Stabilität im Osten des Landes konzentriert. Sie wird in Wahlen Politiker und Politikerinnen belohnen, die ihnen eine bessere Zukunft bieten.
Aus dem Englischen von Carola Torti.
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